Habe ich Vorfahrt?

Im Straßenverkehr habe ich häufig den Eindruck, dass die anderen Verkehrsteilnehmer die Verkehrsregeln nicht wirklich kennen. So habe ich regelmäßig Leute, die an der abknickenden Vorfahrtsstraße falsch blinken. Dabei ist es so einfach: Die abknickende Vorfahrtsstraße hat nichts mit dem Blinken zu tun.

Immer wieder überlassen Autofahrer mir (als Radfahrer) die Vorfahrt. Ziemlich häufig glaube ich, dass das aus purer Ahnungslosigkeit passiert. Die Autofahrer wissen immerhin, dass es nicht gut kommt, wenn man einen Radfahrer anfährt. Aber sie wissen nicht, wann sie Vorfahrt haben.

Die beste Situation ich auch immer folgendes: Ich möchte geradeaus fahren. Ein Autofahrer kommt von rechts. Nach „rechts vor links" hat der Autofahrer die Vorfahrt. Ich werde langsamer und hoffe, dass der Autofahrer schon durch die Kreuzung ist, bevor ich zum Stillstand gekommen bin. Der Autofahrer bleibt aber stehen. Also komme ich zum Stillstand. In genau dem Moment, wo ich meinen Fuß auf den Boden setze und das Gewicht vom Sattel nehme, wird mir die Vorfahrt zugewunken. Etwas genervt steige ich wieder auf das Rad und fahre wieder an.

Nachdem ich vorbei bin, biegt der Autofahrer rechts ab und ist dann direkt hinter mir. Der Autofahrer versteht, dass ich nicht so schnell bin wie er mit seinem Auto sein könnte. Also versucht er zu überholen. Das ist in der Stadt mit den bis zur Besinnungslosigkeit zugeparkten Straßen natürlich nicht einfach. Also drängelt sich der Autofahrer irgendwann in einer haarsträubenden Aktion an mir vorbei. Meistens, um dann irgendwo rechts abzubiegen und mir dabei fast den Weg abzuschneiden.

Da weiß ich dann auch echt nicht mehr, was ich machen soll. Heute hatte ich dieses Verhalten auch noch einmal in einem Kreisverkehr. Ich kam an, etwas früher kam ein Autofahrer zu meiner linken an. Wäre ich ganz schnell gewesen, hätte ich noch in den Kreisverkehr rasen können. Aber ich wollte dann doch lieber warten und den Autofahrer vorbeilassen. Er war schon im Kreisverkehr und hatte damit das Vorrecht. Allerdings winkte er mir zu, ich sollte fahren. Gut, dann bin ich gefahren. Leider bin ich dann an der Ausfahrt raus, die er auch genommen hat. Danach ist es nur einspurig und man kann nicht überholen. Als es irgendwann etwas breiter geworden ist, hat er mich zaghaft überholt. Danach stand er mir wieder im Weg, weil er beim Abbiegen (natürlich nach rechts) warten musste.

Sicher möchten einige dieser Leute nur nett sein. Sie wollen vielleicht nett zu Radfahrern sein. Aber wenn man dann die Radfahrer nur wieder überholt, bringt es nichts. Für die Leute nichts, die müssen länger warten und noch ein Risiko beim Überholen eingeben. Für mich bringt es nichts, weil ich im dümmsten Moment wieder anfahren muss. Außerdem überholt mich dann jemand mit dem Auto. So ein Überholvorgang benötigt natürlich eine Beschleunigung davor; ich bekomme immer den Dieselmief reingepustet. Da freut man sich umso mehr, dass man von einem SUV-Fahrer die Vorfahrt bekommen hat.

Auf meinem morgendlichen Weg zur Uni gibt es eine Stelle, an der man an eine vierfach-Kreuzung kommt. Die Radfahrer haben da allerdings keine Vorfahrt. Auf meiner Seite ist dort ein „Vorfahrt achten"-Schild. Bei den anderen drei Straßen, die zur Kreuzung führen, steht da nichts. Man kann also von „rechts vor links" für alle ausgehen. Die Radfahrer haben allerdings noch eine durchgezogene Linie vor sich. Wenn ich da ankomme, sind alle Autofahrer immer ziemlich verwirrt. Es gibt welche, die wissen, dass ich keine Vorfahrt habe. Es gibt aber auch andere, die das nicht wissen. Und als Radfahrer muss man dann immer herausfinden, was die Leute über den Verkehr wissen. Teilweise mache ich das so, dass ich mich demonstrativ mit beiden Füßen auf den Boden stelle, damit die Autofahrer mal hinne machen.

Mein Verdacht ist wirklich, dass ein Großteil der Leute die Verkehrsregeln nicht kennen. Aber anstelle sich dem bewusst zu werden und das mal nachzuschauen, murkselt man sich dann die ganze Zeit einfach durch. Da gibt man die Vorfahrt einfach an jeden ab, der da ist. So fährt man auch keinem rein. So lange dauert das ja auch nicht. Tipp: Die Zeit, die man spart, weil man die Verkehrsregeln kennt, ist schon nach wenigen Tagen länger als die Recherche.

Es wird ja immer behauptet, dass sich 80% der Autofahrer für besser als der Durchschnitt halten. Das wird dann immer so als ulkigen Widerspruch dargestellt. Dabei kann das durchaus sein. Angenommen, 9 Autofahrer kennen alle Regeln (100% der Punkte) und einer kennt gar keine Regeln (0%). Dann liegt der Durchschnitt bei 90%. Und 9 von 10 sind jetzt besser als der Durchschnitt. Was natürlich nicht klappt, ist dass mehr als die Hälfte besser als der Median ist. Der Median ist eben genau so definiert, dass die eine Hälfte besser und die andere Hälfte schlechter ist. Was ich sagen möchte ist jedenfalls, dass ich den Eindruck habe, dass es einige Autofahrer gibt, die durch extreme Defizite auffallen. Das senkt den Durchschnitt derart, dass sicher die meisten darüber sind.

Vielleicht sollte man anstelle der Börseninformationen bei den Abendnachrichten einfach jeden Tag mal eine der Verkehrsregeln wiederholen. Hätte mehr Relevanz und würde tatsächlich auch was bringen. Dann würde das Blinken an der abknickenden Vorfahrtsstraße auch tatsächlich aussagekräftig sein. Momentan schaue ich einfach nur, dass ich da nicht überfahren werde. Wenn ich irgendwann mal Zeit habe, setze ich mich vielleicht da mal an eine Kreuzung und nehme eine Statistik auf. Dann hätte ich mal Zahlen, wie schlecht die Leute eine ziemlich einfache Regelung kennen.